Jesaja 1,21–23
Eigene Übersetzung
- Wie bist du zur Hure geworden, treue Stadt! Sie war voll von Rechtsspruch, und Gerechtigkeit übernachtete in ihr. Und nun: Mörder!
- Dein Silber ist zur Schlacke geworden, dein Rauschtrank mit Wasser verdünnt.
- Deine Obersten sind Widerspenstige und Verbündete der Diebe, sie alle lieben Bestechung und jagen Geschenken nach. Dem Waisen sprechen sie nicht Recht, und der Rechtsstreit der Witwe kommt nicht vor sie.
Kommentar
Hier vergleicht Gott Jerusalem mit einer Hure – ein Bild, das häufig in den Propheten für das untreue Volk verwendet wird. Der Begriff Hure muss dabei nicht für eine Berufsprostituierte stehen (auch wenn dies auch der Fall ist), sondern auch einfach für eine untreue Frau – so wie Juda Gottes Bund untreu geworden ist.
Seltener ist das hier verwendete Wort für Stadt (קִרְיָה). Es kommt nur 30 Mal in der hebräischen Bibel vor; im Vergleich dazu kommt das gängige Wort für Stadt (עִיר) über 1000 Mal vor. Warum Jesaja hier dieses Wort nutzt, ist nicht ganz klar. Es ist jedoch relativ häufig bei ihm (10× im ganzen Buch, עִיר 45×); damit ist es das Buch, das diesen Begriff am häufigsten enthält. Im Vergleich dazu kommt es in den fünf Büchern Mose nur dreimal vor – einmal in Numeri und zweimal in Deuteronomium. Verhältnismäßig kommt es bei Habakuk am häufigsten vor (3× קִרְיָה vs 1× עִיר), gefolgt von Sprüchen (5× קִרְיָה vs 4× עִיר). Das Wort scheint also bei poetischen und prophetischen Büchern häufiger als bei geschichtlichen Büchern zu sein, auch wenn es bei diesen auch vorkommen kann. Vielleicht hat es auch regionale oder temporäre Gründe, warum es in bestimmten Texten häufiger verwendet wird. Ich konnte jedenfalls keine bedeutungsmäßige Gewichtung erkennen, die erklärt, warum Jesaja diesen Begriff hier bevorzugt, und auch ein Reim oder eine akrostische Struktur ist hier nicht zu erkennen.
Auch das Wort für Rauschtrank/Wein/Bier, das hier verwendet wird, ist ungewöhnlich. Es kommt insgesamt nur dreimal im biblischen Text vor (Nahum 1,10; Hosea 4,18), aber allein daraus scheint die Bedeutung auch nicht klar zu werden. Das Vermischen mit Wasser ist an dieser Stelle negativ gesehen – es war wohl (ähnlich wie heute) negativ bewertet. Zur Zeit der griechischen und römischen Vorherrschaft war es wohl anders; da war es eine gängige Praxis, Wein mit Wasser zu verdünnen.
Die Idee mit der Schlacke ist ähnlich. Silber wurde wohl meist mit Bleiglanz hergestellt. Bei Fehlern bei der Produktion konnte auch eine Schlacke von silberhaltiger Bleiglätte oder minderwertiges, verunreinigtes Silber entstehen.
Statt eines solchen Misserfolgs kann es sich aber auch auf bewusste Fälschungen beziehen, in denen Kupfer mit Silber überzogen wird, um billigere Münzen zu produzieren, oder eventuell minderwertigeres Silber als hochwertiges ausgegeben wird. Dazu passen würde, dass in Hesekiel 22,18 die Schlacke auch als eine Mischung von Kupfer (oder Bronze), Zinn, Blei und Eisen bezeichnet wird.
Da jedoch das Bild vom vermischten Getränk und von der Schlacke im Parallelismus steht, symbolisiert wohl beides dasselbe. Da bei den Getränken wohl eher nicht von Betrug auszugehen ist (man würde es ja einfach merken), ist es eher ein Bild für Minderwertigkeit. Ganz Jerusalem ist verunreinigt und wertlos geworden.
Besonderer Fokus liegt jetzt wieder auf den Obersten des Volks. Das sehen wir häufig in der hebräischen Bibel: Hier liegt der Fokus oft nicht so stark auf dem Individuum wie auf dem ganzen Volk – und in so einem Fall sind die Würden- und Amtsträger oft von besonderer Bedeutung. Wir haben zuvor schon Gottes Kritik daran gehört, dass Witwen und Waisen nicht Recht geschafft wird. Hier wird es spezifiziert, indem die Richter selbst als Diebesgenossen, die Bestechungsgeschenke lieben, bezeichnet werden. Daraus folgt verständlicherweise, dass Witwen und Waisen vernachlässigt werden, da diese nicht die Mittel haben, Bestechungsgeschenke aufzubringen.
Fragen zum Nachdenken
- Wie würde Gott wohl dich, deine Familie und deine Gemeinde beurteilen müssen? Seid ihr wahres Silber oder auch verunreinigte Schlacke?
- Inwiefern ist auch bei unseren Gemeinden entscheidend, wie die Obersten sind?
One Reply to “Schlacke statt Silber und verdünnter Wein”