Jesaja 1,18-20

Eigene Übersetzung

  1. „Geh doch und lasst uns rechten, spricht Jahwe. Wenn eure Sünden wie Karmesin sind, sollen sie gereinigt werden wie Schnee, und wenn sie rot wie Purpur sind, wie Wolle sollen sie werden.
  2. Wenn ihr willig seid und hört, werdet ihr das Gute des Landes essen.
  3. Wenn ihr euch jedoch weigert und widerspenstig seid, werdet ihr vom Schwert gegessen werden; denn der Mund Jahwes hat gesprochen.“

Kommentar

Dieser Text wird gerne in evangelikalen Kreisen als Vorausschau auf Christus genutzt, der die Sünden wegwäscht. Sicher ein schönes Bild, aber der Text sagt das nicht.

Der Text spricht davon, dass Gott das Volk auffordert, in einen Rechtsstreit mit ihm zu treten. Das Wort „rechten“ kommt 59 Mal im Alten Testament vor, am häufigsten im Buch Hiob (17 Mal). Hiob glaubt, ungerecht behandelt zu sein, und sucht jemanden, der ihm Recht schafft (Hiob 16,20). Er möchte sogar mit Gott selbst in einen Rechtsstreit treten (Hiob 13,3) und sich selbst rechtfertigen (Hiob 13,15). Genauso soll hier das Volk sich vor Gott rechtfertigen.

Dass die Sünden „gereinigt werden wie Schnee“ und „weiß wie Wolle“ werden sollen, ist keine Prophetie der Vergebung, sondern ein Angebot Gottes, das Gericht zu ändern, wenn das Volk sich ändert.

Aktuell sind die Sünden rot wie Karmesin (eine Farbe aus den Eiern einer Schildlaus, bekannt aus den Priestergewändern, vgl. Exodus 28,5.15.33) und Purpur (aus einem Wurm gewonnen). Das Volk hat noch eine Chance sich geistlich zu waschen und im Rechtsstreit bestehen zu können.

Der Kontext ist klar: In den vorherigen Versen wird das Volk ausdrücklich aufgefordert, sich zu reinigen und die Sünden wegzutun. Gott nennt auch konkrete Verhaltensänderungen: Unterdrücker zurechtweisen, Witwen und Waisen Recht verschaffen.

Die Begriffe für „Recht schaffen“ und „Rechtsstreit führen“ sind im Hebräischen unterschiedlich, doch das ist in der Poesie des Alten Testaments üblich. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen dem Recht schaffen für die Unterdrückten und dem Ausgang des Rechtsstreits mit Gott.

Es geht hier jedoch nicht um Werksgerechtigkeit. Der Text spricht nicht darüber, wie man das ewige Leben erlangt. Auch sagt der Text nichts darüber, ob die Verhaltensänderung (allein) aus eigener Kraft kommt oder mit Gottes Hilfe geschieht.

Das Volk hat die Warnung nicht angenommen. 80 Jahre nach Jesajas Tod begannen Nebukadnezars Feldzüge gegen Juda, und 100 Jahre später wurde der Tempel zerstört. Zwischendurch gab es zwar gerechte Könige wie Joschija (2. Könige 22–23), doch die meisten Könige und das Volk waren ungerecht. Schuld und Gericht konnten sich über Generationen anhäufen.

Die ersten, die diese Botschaft hörten, waren wohl Manasse und das Volk zu seiner Zeit. Er wird später immer wieder als der schlimmste König bezeichnet, den Juda hatte. Wenn jemand das Gericht verdient hätte, dann wohl Manasse am meisten. Dennoch kam das Gericht erst deutlich später. Das ist für uns wohl etwas herausfordernd. Wir leben in einer sehr stark individualistischen Gesellschaft und erwarten, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist und Konsequenzen allein sein eigenes Handeln betreffen. Doch in der Bibel sehen wir kollektivistische Gesellschaften, und Gott handelt auch so mit ihnen. Es wird ein ganzes Volk bestraft, weil es ungerecht ist (nicht nur der Einzelne), und Schuld kann sich über Generationen hinweg anstauen, bis das Gericht kommt.

Fragen zum Nachdenken

  • Welchen Wert haben diese Verse für uns heute, auch wenn sie kein Protoevangelium über Vergebung sind?
  • Hilft ein Blick auf Gottes Handeln mit seinem Volk damals, sein Handeln heute besser einzuordnen?
  • Wie war es für Menschen, die das Gericht gehört haben, böse lebten und es zu Lebzeiten nicht erlebten? Wie ist Gottes Handeln mit uns heute im Vergleich dazu?

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